Relaunch der Frankfurter Rundschau Online - zu fortschrittlich für die User?
Seit zwei Tagen erscheint die Frankfurter Rundschau online im neuen Gewand. Das Design, die Navigationsstruktur und die inhaltlichen Schwerpunkte wurden neu definiert. Das erste Re-Design seit ca. 3,5 Jahren und was stellt man fest? Manchem User geht das alles zu schnell. Und Angewohnheiten aus dem Print werden online weiter gepflegt. Das ergibt zumindest eine kurze Analyse des sehr aufschlussreichen Blogs, das anlässlich des Relaunchs zur Kommentierung der Änderungen angeboten und reichlich genutzt wurde.
Dass man über Geschmack streiten kann, stellen die Leserkommentare im Blog bezüglich der neuen Farbwahl eindrucksvoll unter Beweis. Besonderes bemerkenswert finde ich allerdings einen anderen Schwerpunkt der Kommentare: Die Seite "Tagesinhalt" und die Funktion "14-Tage-Archiv" stehen nicht mehr bzw. nur noch in veränderter Form zur Verfügung und dieses wird stark kritisiert.
Der Tagesinhalt stellte im Prinzip einen Schnappschuss der Themen des Tages dar, während im 14-Tage-Archiv gefiltert nach Tag die Themen dieses Tages gesucht bzw. durchblättert werden konnten. Beide Features unterstützen somit eine Leseangewohnheit wie im Print - es gibt die "Nachrichten des Tages". Die permanente Aktualisierbarkeit der Themen im Netz spielt (scheinbar) keine Rolle. Deutet das den Wunsch der Leser an, auch im Netz von einer Tageszeitung (insb. von einer wie der FR), mehr als nur Aktualitäts-Häppchen zu erhalten? Inhaltliche Tiefe statt Schnelligkeit? Oder kommen die Kommentare nur von einer lautstarken traditionellen Minderheit, "die es nicht kapiert hat"?
Gleichzeitig wird das E-Paper, das ja im Prinzip das "Tages-Angebot" anbietet, nicht als Ersatz angesehen (zum Thema E-Paper werde ich mich in den nächsten Wochen noch kritisch äußern). Das kann allerdings auch an der Kostenpflichtigkeit des E-Papers liegen oder daran, dass die User die FR bereits am Frühstückstisch gelesen haben.
Ich denke, dass man hieraus zwei Lehren ziehen kann:
Zum einen sind viele Leser nicht so weit wie viele von uns selbst ernannten Experten, die wir genau zu wissen glauben, was der Leser der Zukunft online möchte. Manchen Usern kann es mit dem Wandel nicht schnell genug gehen, aber diese dürften eher die Minderheit darstellen. Auch die fehlende Kritik an der mangelnden Interaktivität der FR-Site ist ein Indiz dafür, dass viele User diese (noch) nicht vermissen, obwohl gerade diese doch als Merkmal des zukünftigen Journalismus' angesehen wird ("journalism is a conversation").
Zum anderen scheint dieses Verlangen nach dem Tagesinhalt tatsächlich Ausdruck eines Wunsches nach "mehr" als dem zu sein, was Spiegel Online und andere dpa-Ticker-Verwurster anbieten. Warum sonst berichten User davon, dass sie das Archiv zum durchblättern früherer Ausgaben genutzt haben und Artikel elektronisch gespeichert haben? In solchen Fällen geht es um den Wunsch nach mehr als nur News-Fastfood.
27.04.06