Warum klassische Medien die Interaktion mit ihren Lesern online vermeiden
Die Implementierung interaktiver Elemente wie z.B. Foren oder Leserblogs ist weniger ein technisches, denn ein organisatorisches und redaktionelles Problem. Darauf verweist eine qualitative Studie der City University (London), die aufzeigt, aus welchen Gründen manche Sites umfangreiche interaktive Sektionen haben und andere diese weniger stark hervorheben.
Während ich in meinem Eintrag von vor ein paar Tagen anhand der Analyse einiger deutscher Sites Indizien dafür liefern konnte, dass Foren oft genug nicht zur Leserbindung beitragen, untersucht Neil Thurman von der City University in einer Studie, welche Gründe für eine starke oder schwache Nutzung eines interaktiven Umgangs mit der eigenen Leserschaft online führen.
Trends hin zu einer generellen Bevorzugung einiger Elemente gegenüber anderen sind praktisch nicht erkennbar. So werden z.B. selbst wenig anspruchsvolle und risikoarme Elemente wie Online-Polls nur von fünf der zehn untersuchten englischen Sites eingesetzt. Generell wird auf eine relativ starke Kontrolle der User-Beiträge geachtet. Kommentierbare Blogs oder Foren mit Beitrageinstellung ohne vorherige redaktionelle Kontrolle sind nur auf zwei bzw. drei der zehn Sites im Einsatz.
Woran liegt diese scheinbare Unentschlossenheit und Vorsicht?
Thurman macht redaktionelle und organisatorische Gründe sowie ungeklärte Haftungsfragen für die zögerliche Anwendung interaktiver Elemente verantwortlich.
Insbesondere Blogs sind - zumindest unter dieser Bezeichnung und in dieser großen Anzahl - noch ein relativ neues Phänomen. Die meisten von ihnen entsprechen nicht in Ansätzen den klassischen Qualitätskriterien einer Zeitungsredaktion. Aber auch qualitativ gute Blogs verstoßen in der Regel z.B. mit der oft starken Selbstdarstellung des Autors gegen bestehende Qualitätsrichtlinien.
Ungeklärte Haftungsfragen in Großbritannien führen laut Thurman dazu, dass die Redaktionen vor allem vor dem Einsatz unmoderierter Diskussionen zurückschrecken. Während es bislang anscheinend noch nicht viele gerichtliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema gegeben hat, reicht das Beispiel von Lord Robertson vs. The Sunday Herald aus, um die Chefredakteure Vorsicht walten zu lassen. Für einen vermeintlich rufschädigenden Beitrag im Forum des Sunday Heralds wurde Lord Robertson 25.000 Pfund zugesprochen, obwohl nur äußerst wenige Nutzer den Eintrag hatten lesen können.
Der aus solcher Vorsicht resultierende Zwang zur Moderation führt dazu, dass die Nutzung kommentierbarer Blogs oder Foren einen beträchtlichen Moderationsaufwand erfordert. Dieser ist für die meisten Redaktionen nicht darstellbar. Auch aus Gründen der textlichen Qualität behalten es sich viele Redaktionen vor, Beiträge erst zu moderieren. Beiträge mit schlechter Grammatik oder ähnlichen journalistischen Handwerksfehlern sollen sich so z.B. nicht negativ auf das Image der Zeitung auswirken. Verstärkt wird der organisatorische Aufwand dann noch, wenn redaktionelle Inhalte und Diskussionsforen inhaltlich miteinander verknüpft werden sollen.
Zudem stehen den durch Blogs, Foren etc. verursachten Kosten zumindest derzeit noch keine signifikanten Einnahmen gegenüber. Auch in der Theorie existieren keine direkt zu Umsatz führenden Geschäftsmodelle für Foren, etc. Finanziell bleibt also nur die Hoffnung, über die interaktiven Elemente eine loyalere Nutzerschaft zu generieren und diese über andere Methoden zu monetarisieren.
Die Studie wurde im Rahmen des 7th International Symposium on Online Journalism vorgestellt und kann hier heruntergeladen werden.
18.04.06