Readers Edition alphat herum
Seit heute ist das Citizen Journalism-Projekt Readers Edition der Netzeitung online.
In einem bemerkenswert aufgeräumten Layout präsentiert sich der derzeit ambitionierteste Versuch im deutschen Citizen Journalism. Zu Recht hat er allerdings noch das Wörtchen "Alpha" im Schriftzug integriert.
20 Millionen Redakteure suche man, hat es vor einigen Wochen geheißen, als die Netzeitung das Projekt Readers Edition ankündigte. Nun sind es zum Alpha-Start nur rund zwei Dutzend geworden, aber man sollte ja nicht alles glauben, was in der Werbung gesagt wird.
Das Layout der Site steht im angenehmen Widerspruch zu den Text- und Bildorgien vieler deutscher Nachrichtensites. Die einzelnen Seiten-Elemente können tatsächlich noch wahrgenommen werden und lenken den Leser somit auf das Wesentliche.
Zugute kommt der Site auch der Verzicht auf Werbung (oder arbeitet mein "Adblock" perfekt?). Keine störenden Banner reduzieren die Lesefreundlichkeit. Selbst auf diskrete AdSense-Anzeigen hat man verzichtet.
Zudem sind die Seiten relativ kurz, was hoffentlich auch dann noch beibehalten wird, wenn mehr Artikel zur Verfügung stehen und man somit leicht der Versuchung erliegen könnte, alle auf einer Seite präsentieren zu wollen.
Bewußt hat man sich scheinbar für das Wörtchen Alpha im Schriftzug entschieden. Denn wenn man sich der Site ein wenig länger widmet, fallen sehr viele Punkte auf, die noch nicht ganz ausgereift sind.
Redaktionell startet die Site mit einer kleinen und kunterbunten Mischung, die das Spektrum von Premieres Sportrechten (unter "Vermischtes" abgelegt) bis hin zum vom Traktor erschlagenen Obstbauern abdeckt. Die Qualität variiert stark (so weit ich das als Nicht-Redakteur beurteilen kann).
Eher amüsant ist der Versuch der nationalen Netzeitung, über Readers Edition scheinbar reichlich lokale Artikel generieren zu wollen. Immerhin ist "Lokales" in der Top-Navigation bedeutend prominenter platziert als Wirtschaft oder andere Themenbereiche. Auf der Übersichtsseite Lokales bekommt man dann einen Lokalartikelmix aus ganz Deutschland, ohne sich seine eigene Stadt oder Region auswählen zu können.
Konzeptionell gut gelungen ist der Mechanismus, dass Artikel erst eine bestimmte Anzahl von "Lesungen" erreicht haben und von den Moderatoren begutachtet werden müssen, um bei guter Benotung auf einer der Ressortseiten zu erscheinen.
Unklar ist allerdings, wie die Autoren entlohnt werden. Monetäre Anreize gibt es nicht und die Präsentation der Autoren zwecks Schmeichelung ihrer Egos ist bislang nur sehr zurückhaltend ausgefallen.
Aber auch bezüglich funktionaler Aspekte muss auf dem Weg zum Beta noch nachgearbeitet werden. An vielen Punkten ist von der auf den ersten Blick schönen Nutzerführung nicht mehr viel zu bemerken.
Einige Beispiele:
- Die Überschriften in den Boxen rechts (z.B. Artikel der Woche) sind viel zu kurz. Mit "Finanzspritze für s... (149)" oder "Berlin Hauptbahnhof... (171)" kann man als Leser einfach nichts anfangen. Im Fall zweier Boxen wird der zur Verfügung stehende Platz zudem noch durch sinnlose Informationen wie der Artikelbewertung oder der Anzahl der Leser zusätzlich verkürzt. Es ist z.B. logisch, dass vielgelesene Artikel viele Leser gehabt haben und es macht keinen Unterschied, ob das nun 182 oder 154 Leser waren.
- Es ist schon nett, dass man eine geographische Zuordnung über Google Maps vornimmt. Allerdings sollte sich dieses Feature auf Artikel beschränken, bei denen diese Information auch wirklich sinnvoll ist. Immer nur auf die Stadtmitte Berlins zu verweisen ist wenig hilfreich.
- Die Funktionalitäten Drucken, Google Maps und die Bewertungsfunktion sind auf den Übersichtsseiten überflüssig und nehmen nur Platz weg. Wie kann ich einen Artikel bewerten, den ich noch nicht gelesen habe oder wozu brauche ich den Druck-Link? (das Bewertungstool ist übrigens technisch schön gelöst)
Es gibt noch zig Punkte, an denen die Site noch nicht rund ist. Aber mit dem bereits angesprochenen Layout hat man eine gute Basis, um eine auch im Detail nutzerfreundliche Site zu bauen.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern dieses ambitionierte Projekt tatsächlich zur deutschen Version von OhMyNews werden kann. Bislang gibt es kaum andere Möglichkeiten, seine eigenen Artikel im deutschen Online-Blätterwald veröffentlicht zu sehen, so dass schon alleine dieser zeitliche Startvorsprung der Site zugute kommen könnte.
Posts auf anderen Blogs zu diesem Thema: Hier klicken
(in manchen von denen steht dann auch geschrieben, dass Readers Edition sich jetzt eigentlich in der Beta-Phase wähnt, und dass trotz des Alphas im Schriftzug).
06.06.06
Kommentare
Hmmm, also wenn ich die Reader's Edition aufrufe, dann steht da sehr zart zwar, aber immerhin, "beta" im Namen ;-).
Ansonsten war ich von den ersten Inhalten ziemlich enttäuscht: http://www.streim.de/2006/06/06/das-ende-des-journalismus/
06.06.06 23:51
astreim
Stimmt! Mittlerweile hat man es wohl geändert. Heute Nachmittag war das "Alpha" aber noch da (bin ja nicht völlig blind ;) ).
Man betat jetzt also herum.
07.06.06 00:12
M. Kretschmer
Hey, danke für die vielen Anregungen. So intensiv hat sich glaube ich noch kein Blogger mit dem Aussehen der Readers Edition beschäftigt ;)
22.06.06 12:00
Peter Schink
Immer gerne. :) In ein paar Monaten kommt dann wahrscheinlich noch ein erneuter Review.
Viel Erfolg!
22.06.06 16:10
Matthias Kretschmer