Kleine Revolution im Sommerloch – Online-Nachrichten entdecken das Netzwerk
Es scheinen nur die üblichen kleinen Fortschritte zu sein, die einige Nachrichten-Sites in den letzten Monaten angekündigt haben, und dennoch sind sie der Beginn eines grundlegenden Umdenkens.
Verlage entdecken, dass auch Konkurrenten und Blogs interessante Artikel produzieren können, vernetzen sich zunehmend und gehen damit den ersten Schritt hin zu einer neuen Online-Nachrichtenwelt.
Was wird derzeit nicht alles innoviert. Redakteure schreiben Blogs, laufen mit Mikrofon und Kamera bewaffnet zwecks multimedialer Berichterstattung zum Termin, Citizen Journalism in allen Facetten wird geübt und von Redakteuren gesprochene Video-News sind längst nicht mehr der allerneueste Schrei.
Nun, zumindest auf die USA passt diese Beschreibung, aber in Deutschland wird diese Entwicklung auch noch kommen (wann eigentlich endlich so richtig?).
Und doch steht bislang jede Website eines Verlags wie ein Solist im Internet herum. Verlinkt wurde bestenfalls auf Quellen, kaum aber auf Artikel konkurrierender Angebote.
Der Erfolg von Yahoo! News und Google News gründet sich daher in hohem Maße darauf, dass sie eine Portal- bzw. Übersichtsfunktion bieten und quellenunabhängig Artikel zusammenstellen. So entwickelte sich z.B. Yahoo! Local News zur zweitgrößten Nachrichtenquelle für lokale Nachrichten hinter der Summe aller lokalen Zeitungswebsites.
Insbesondere amerikanische Verlage scheinen jetzt zu erkennen, dass sie folglich nicht (mehr) die Rolle einer zentralen Anlaufstelle für Nachrichten innehaben. Stattdessen werden sie zu immer stärker austauschbaren Destinationen, auf denen die User nur mittels Deep-Links erreichte einzelne Artikel lesen.
Aber eine Reihe von Ankündigungen der letzten Monate zeigt, dass die Verlage umdenken.
- Die Washington Post, Newsweek und andere Nachrichten-Sites nutzen in Zukunft die Dienste von Inform. Hierdurch sollen zu Artikeln auf diesen Sites passende Artikel anderer Nachrichtensites und Blogs angezeigt werden. Inform erledigt dieses durch ein automatisches „Ernten“ der Artikel im Netz nebst nachträglicher Filterung und Sortierung.
- Während dieses Vorgehen mittels des Inform-Services einen Konfrontationskurs gegenüber den Nachrichten-Aggregatoren darstellt, setzen andere Verlage auf Kooperation. Im Juli wurden Kooperationsgespräche diverser Zeitungsverlage mit Yahoo! bekannt, die darauf abzielen, das Verhältnis zwischen Yahoo! News und den Verlags-Sites neu zu definieren. Die Verlage bekommen bessere Möglichkeiten zur Darstellung der eigenen Inhalte auf Yahoo! News und werden an den Werbeeinnahmen beteiligt und kooperieren im Gegenzug zu Yahoo!s Gunsten im Stellenmarkt mit HotJobs, der Stellenbörse von Yahoo!.
- Technorati und AP gaben eine Partnerschaft bekannt, die Nutzer von Websites mit AP-Inhalten zu relevanten Blogs führen sollen. Technorati ermittelt dazu, welche Blogs auf die jeweiligen AP-Artikel verlinken und listet diese neben den Artikeln auf. Zudem werden die „most blogged about articles“ angezeigt.
- Einen ähnlichen Weg geht testweise Time.com, die eine Partnerschaft mit Sphere eingegangen sind. Neben den Time-Artikeln wird ein Sphere-Button angezeigt. Auf Knopfdruck sucht Sphere relevante Artikel zum gleichen Thema.
(Mehr zu den Einsatzmöglichkeiten von Technorati und Sphere hier)
Von einem großen Trend kann man sicherlich hier noch nicht sprechen. Aber angesichts der lange genug diskutierten Problematik des Zusammenspiels bzw. des Wettbewerbs der so genannten Main Stream Media mit Aggregatoren wie Yahoo! News und Blogs und der sich daraus ergebenden Probleme (v.a. Reichweitenschwund in Richtung der Blogs und Aggregatoren) scheinen die Verlage jetzt bereit, ihre Rolle online grundlegend zu überdenken.
Einerseits versucht man sich, die Rolle als erste Anlaufstelle für Nachrichten zu erobern, andererseits arrangiert man sich mit der faktischen Stärke von Yahoo! News.
Die von mir geteilte Sichtweise einer Weiterentwicklung der Online-Nachrichten-Welt hin zu einem Netzwerk von Sites statt einer Ansammlung einzelner Solisten wird hierdurch vorangetrieben.
Und dennoch sind die oben dargestellten Aktivitäten unzureichend.
Da die Auflistung sonstiger Artikel und Blogeinträge automatisch erfolgt, kommen die Redaktionen nicht ihrer Rolle als selektierende, gewichtende und strukturierende Institution nach. Wenn die Artikel zumindest semi-manuell ausgewählt würden bestünde die Chance, dem Leser noch bedeutend größeren Mehrwert zu liefern als durch das bloße automatische Auflisten möglich ist.
10.08.06