Zeit News übt sich in Nachrichten
Die Zeit startet den Versuch, Spiegel Online ein Stück der nachrichtenhungrigen Reichweitenmeute abzujagen.
Zum Glück zählt letztendlich Content. Denn Layout und Features der Site können nicht überzeugen.
In hoher Taktung liefert Zeit News seit heute Nachrichten, die Ihrem Umfang nach bedeutend über die üblichen dpa-Ticker anderer Sites oder Artikel auf Spiegel Online hinausgehen.
Die immer stärker werdende Kooperation von Redaktionen innerhalb von Verlagsgruppen konkretisiert sich hier dadurch, dass die Nachrichten vom Tagesspiegel geliefert werden. Dieses wird dem Leser durch Co-Branding auf der Site mitgeteilt.
Schwer textlastig, aber dennoch auf den Übersichtsseiten noch relativ gut zu lesen werden die Artikel in den üblichen Kategorien (Deutschland, Sport, etc.) dem Leser angeboten. Über Links wird der Leser zu Seiten mit Hintergrundberichterstattung geführt.
Eine Hervorhebung einzelner Artikel könnte die Leserführung verbessern. Das Auge wandert doch einigermaßen führungslos über die Site.
Der inhaltliche Kern des Angebots scheint jedoch zu stimmen. Alles andere an der Site ist dann weniger gelungen. Die Site ist redundant und belastet das Lesevergnügen mit unausgegorenen Funktionen und unnützen Inhalten.
Die Homepage von Zeit.de und die Zeit News-Homepage sind ziemlich redundant. Die auf der Zeit-Homepage großflächig angepriesenen Artikel erscheinen auf Zeit News rechts in einem großen Kasten.
Auch auf den Hintergrundseiten finden sich die News in einem Kasten wieder und nehmen Platz weg. Hier scheint es keine vollständig durchdachte Form der Leserführung und Angebotspräsentation zu geben. Bei einem bestehenden Angebot, an das eine Nachrichtensite "angeflanscht" wird nicht allzu überraschend.
In den USA hat sich für Platz auf dem Monitor der Begriff Screen Real Estate etabliert. Eine Anspielung darauf, dass solcher Platz wertvoll ist und entweder sinnvoll belegt oder ansonsten frei gehalten werden sollte. Diesem Prinzip hätte man hier stärker folgen können.
Der Ticker oben auf der Homepage beginnt in jeder Zeile mit dem Datum und der Uhrzeit. Drei Mal wird mir das heutige Datum mitgeteilt und dazu die ebenso sinnfreie Mitteilung, dass die Nachricht z.B. um 15:32 Uhr erstellt wurde. Und das obwohl man weiß, dass User von Nachrichtensites in der Regel nur die ersten zwei bis drei Worte pro Zeile scannen. Hier wird die Aufmerksamkeit der User vergeudet. Viele Leser dürften beim Scannen kaum bei der eigentlich relevanten Überschrift ankommen.
Mächtig kosmopolitisch kommt der Wetterkasten daher und teilt mir das Reisewetter für Lima, Moskau und andere Städte mit. Angesichts der Tatsache, dass Nachrichtenleser eine Site regelmäßig und z.T. mehrfach am Tag besuchen stellt sich die Frage: Wen interessieren diese Wettermeldungen exotischer Städte? Wird hier nicht wieder mächtig Platz verschenkt – und dem Leser im Gegenzug relevante Information á la „Wie wird das Wetter in meiner (deutschen) Stadt“ vorenthalten?
Keine der Wetterangaben ist zur Erlangung weiterer Informationen anklickbar. Stattdessen führt mich ein Link unten rechts zum Wetter in – genau – Deutschland. Zur Erinnerung: Wir befinden uns im Kasten „Reisewetter“.
Hier wird mir das Wetter des heutigen Tages mitgeteilt (es ist derzeit 18:57 – ich kenne das Wetter des heutigen Tages seit Stunden!). Wo sagt man mir, ob ich morgen grillen kann? Wie wird das Wetter am Wochenende (es ist Donnerstag)?
Klickt man dann auf „Bundeslandprognosen“ kommt man auf das Wetter von – jawohl – heute! Nun, zugegeben, am Ende des Abschnitts mit dem Wetter von heute wird mir in einem Satz das Wetter von morgen angedeutet. Grandios.
Alleine über die Merkwürdigkeiten der Wetterfunktion könnte man noch mehrere Absätze verfassen. Belassen wir es dabei. Diese Wetterfunktion wird mit Sicherheit nicht die User zu regelmäßigen Besuchen bewegen.
Auch andere Kleinigkeiten stören. Ein paar Beispiele:
Die Kategorien-Überschriften signalisieren mit weißen Pfeilen auf schwarzem Grund Klickbarkeit. Dem ist nicht so.
Die Artikel beginnen mit Datum, Uhrzeit und Quelle – und enden mit der genau gleichen Information. Ist das wirklich so wichtig, oder reicht es nicht nur am Ende? Da oben lenken die Infos nur die Leser ab.
Auf mehrere Seiten verteilte Artikel können mittels Mausklick auf nur einer Seite angezeigt werden. Warum merkt sich das System nicht meine bevorzugte Einstellung (siehe iht.com)? Welchen Sinn macht diese Funktion bei Artikeln auf zwei Seiten, wenn diese Funktion in diesem Fall keine Klicks einspart?
Und ab und an, liebe Redaktion, wäre ein Bild oder eine Infografik auch nicht verkehrt. Oder ein Link zu anderen Websites, oder eine Kommentarfunktion, oder, oder, oder…
Noch kann Spiegel Online sehr gelassen bleiben.
03.08.06