Leserblogs: Ernüchternde Zwischenbilanz
Seit mehreren Monaten bieten einige Zeitungsverlage im deutschsprachigen Raum ihren Lesern die Möglichkeit, eigene Blogs einzurichten.
Zeit für eine Zwischenbilanz - die ernüchternd ausfällt.
In Deutschland sind der Südkurier, der Trierische Volksfreund (TV), die Ostseezeitung und die sh:z dafür bekannt, Leserblogs eingeführt zu haben. In Österreich bieten zudem die Salzburger Nachrichten (SN) ein auf das Thema Gesundheit fokussiertes Blog-Angebot an und seit ein paar Wochen können Leser auf der neuen Nachrichten-Site oe24.at* ihre Blogs führen.
Fragt man nach den Gründen für die Implementierung von Leserblogs, werden zumeist Aspekte wie „verstärkte Leserbindung“ und „Erweiterung des Themenangebots“ genannt. Neben einer angemessenen Qualität von Beiträgen sollte man folglich auch eine gewisse Anzahl von Beiträgen erwarten können.
Geringe Aktivität
In der Realität ist die Zahl der Beiträge äußerst niedrig. So wurden in sämtlichen Blogs der Ostseezeitung innerhalb der letzten zwei Wochen** nur fünf Artikel von drei Bloggern verfasst, bei der sh:z ganze sieben (davon einige vermutlich von (freien) sh:z-Redakteuren) und bei den Salzburger Nachrichten nur zwei.
Der Südkurier konnte bislang über 180 Leser zum Bloggen animieren und der TV innerhalb von fünf Monaten rund 120. Allerdings sind diese Blogs längst nicht alle aktiv.
Nur jeweils rund 20% der Blogs werden innerhalb von zwei Wochen aktualisiert.** In dieser Zahl sind auch solche Blogs enthalten, die neu erstellt wurden und dann in der Regel nach kurzer Zeit wieder verwaist sind. Letztendlich kann man also von vielleicht 10% der Blogs ausgehen, die einigermaßen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg aktualisiert werden.
Diese hier aufgezeigten Nutzungszahlen kann man nur als sehr niedrig bezeichnen. Die Zahl der somit stärker an den jeweiligen Verlag gebundenen Leser ist folglich sehr gering und auch von einer erhöhten Bindung der Leser dieser Blogs an den Verlag kann kaum ausgegangen werden.
Blogs als Fremdkörper
Was könnten mögliche Ursachen sein?
Zu oft sind die Weblogs wie ein Fremdkörper mehr oder weniger schlecht in die Site integriert. Zum Teil laufen die Blogsites auf anderen URLs (z.B. www. suedblog.de), sind nur über den für die meisten Nutzer unverständlichen Button „Weblogs“ zu erreichen oder sind nicht in das Navigationssystem der Hauptsite integriert (so gibt es z.B. keine Navigationsmöglichkeit von den Blogs der sh:z zurück zur Homepage der sh:z).
Von den untersuchten Sites integriert nur der Südkurier Teaser für die Blogs prominent auf der Homepage.
In keinem der Fälle kommt es allerdings zu einer richtigen Kombination redaktioneller Angebote und Blogs. Der Leser erfährt nicht, dass es zu einem redaktionellen Artikel möglicherweise relevante Blogeinträge gibt.
Auch anderweitig sind interessante Blogeinträge nur schwer auffindbar. Zwar machte es prinzipiell Sinn, wie oft implementiert eine Liste der aktuellsten Beiträge anzubieten. Aber damit wird der Leser nur sehr bedingt zu den interessantesten Beiträgen und für seine Interessen relevanten Blogs geleitet.
Alphabetische Auflistungen der Blogs sind ziemlich unnütz und zudem auch eher schädlich – denn wer möchte schon, dass seine Leser sehen, wie viele verwaiste Blogs es gibt?
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, dass die Autoren nicht für ihre Bemühungen belohnt werden.
Aus anderen Beispielen wie z.B. Wikipedia, Digg oder OhMyNews weiß man, dass letztendlich nur ein sehr kleiner Teil der User für die meisten und besten Beiträge verantwortlich ist. Zudem ist bekannt, dass die meisten solcher Top-User für ihre Tätigkeit belohnt werden wollen. Dieses kann zwar eine finanzielle Belohnung sein, ist aber in der Regel nicht-monetär.
Blogger wollen Anerkennung
In erster Linie geht es bei der Form der Belohnung um soziale Anerkennung. Wenn man z.B. als Blogger anhand seiner Logfiles erkennt, dass viele User die Beiträge lesen und dass die Leserschaft wächst, wenn man in der Liste der „Top-Blogger“ erscheint oder anderweitig hervorgehoben wird, dann erhält man als Blogger das notwendige Feedback, um weiterhin aktiv zu bleiben.
Die „Belohnungssysteme“ der mir bekannten Leserblogs scheinen nicht vorhanden bzw. nur sehr gering ausgeprägt zu sein.
Auch die redaktionelle bzw. verlagsseitige Pflege der Blogger erscheint nicht allzu umfangreich. Bekannte Beispiele aus den USA wie z.B. The Nortwest Voice nutzen spezielle Community Manager, um die Community bei Laune zu halten und um offline neue Blogger zu gewinnen. Ein solches System konnte ich bei den hier analysierten Blogs nicht erkennen.
Last not least muss angemerkt werden, dass die technische Umsetzung und das Design bzw. Layout mancher Blogs noch zu wünschen übrig lässt. Auf den Blogs der sh:z erkennt man innerhalb weniger Minuten des Surfens an diversen Stellen broken links und auch auf dem Blog der SN merken Blogger Bugs an.
Wenn man sich die Frage stellt, welche grundlegenden Veränderungen eine Verbesserung der Situation bewirken könnten, sollte man sich dessen bewusst sein, was Zeitungen potenziell gegenüber anderen Blog-Sites an Vorteilen haben.
Zeitungen sollten sich auf Ihre wahren Stärken besinnen
Durch ihre relativ große Reichweite haben Nachrichtensites die Möglichkeit, auch Leser, die nicht zur Techno-Elite gehören und bislang noch nichts von Weblogs erfahren haben, an diese neue Form der Partizipation am Online-Geschehen heranzuführen.
Darüber hinaus bieten regionale Plattformen die Chance, die Blogger auch zu Offline-Meetings zusammen zu führen und dadurch den Community-Gedanken zu stärken.
Vor allem haben sie aber mehr als wohl jede andere Plattform die Möglichkeit, den Bloggern Leser zuzuführen und sie in der lokalen Gemeinde prominent darzustellen. Kurz: Sie zu belohnen!
Daraus ergeben sich einige wesentliche Verbesserungsansätze:
- Auf relevante Blogeinträge und Blogs sollte direkt im redaktionellen Umfeld verwiesen werden. Neben einem Bericht über ein Stadtfest sollten dann z.B. direkt die Links zu von den Bloggern erstellten Berichten und Fotogalerien erscheinen. Die Zugriffszahlen auf die Blogs würden dadurch erhöht und die Leser würden leichter mit dem Konzept von Weblogs vertraut gemacht.
- Redakteure sollten im Rahmen der redaktionellen Berichterstattung Leser dazu ermuntern, eigene Beiträge zu verfassen. Tom Glocer, CEO von Reuters, nennt so etwas „seeders of clouds“, wenn sich rund um redaktionelle Beiträge Blogeinträge und Diskussionen innerhalb der Leserschaft entwickeln.
- Die Top-Blogger sollten angemessen belohnt werden. Das Gewähren von persönlicher Aufmerksamkeit durch Redakteure oder Community Manager, verbesserte Möglichkeiten zur Selbstdarstellung der Top-Blogger, eventuell sogar geringe finanzielle Entlohnungen und andere Instrumente können zu so einem Zweck eingesetzt werden.
Weitere Artikel zu dem Thema:
- Sichelputzer über sh:z
- Media Ocean über sh:z
- Blogruf der Zeit über sh:z
- Media Ocean über Südkurier
* Da oe24.at erst sein wenigen Wochen live ist, wurden deren Blogs in dieser Auswertung nicht berücksichtigt. Typischerweise sind die Blogs zu Beginn ihres Bestehens bedeutend aktiver als wenige Monate später.
** Stand: 17. September 2006
18.09.06
Kommentare
1.) Leser bloggen, wenn sie bloggen, wann und wo sie lustig sind! Anerkennung, Ruhm und Belohnung (nicht nur in Cash) und manchmal auch der faire Wettbewerb mit den angestellten Journalisten könnte die Lust fördern ...
2.) Nur wenn Blogger keine Alternativen haben oder Ihre Zeitung sie "anlernt", kommen sie vielleicht auf die Idee bei ihrer Zeitung zu bloggen - ansonsten muss die Zeitung heftig werben, Leistung bieten (siehe oben) und kreative Ideen und Ansprachen haben und Blogs inzenieren!
3.) Es scheint mir ein Zusammenhang darin zu bestehen, wie wichtig Zeitungen und Redaktionen ihre Blogger nehmen und wie attraktiv und wichtig Blogger ihre Zeitungen als Ort des Bloggens nehmen
18.09.06 17:44
Hugo E. Martin
Wir haben uns bei den Lübecker Nachrichten bewußt gegen den Leserblog und für den Redakteursblog entschieden (wird von meiner Kollegin und mir mehrfach am Tag aktualisiert). Die Gründe?
1) warum soll ein Leser der Zeitung bei der Zeitung bloggen? Höchstens wegen der aus dem Stand erzielten Reichweite. Die erreicht er aber - wenn die Themen einigermaßen interessant sind - durch die Blog-zu-Blog-Propaganda auch so sehr schnell.
2) Erfolgreiche Blogs haben ein Schwerpunkt-Thema: Journalismus, Parteipolitik, Rechtsfragen, die Heimatstadt, das Studium usw. Ein ungefilterter Leser-Blog wird immer ein Sammelsurium bieten, durch das nur schwer navigiert werden kann. Der einzelne Blogger verliert sich bzw. wird schwer gefunden.
3) wir stehen in einer gewissen juristischen Verantwortung - es reicht nicht, in den AGB festzustellen, daß der Blogger selbst für seine Einträge verantwortlich sei.
User suchen bei einer Zeitung die Meinung der Journalisten, nicht unbedingt die anderer user. Deshalb gehen wir den umgekehrten Weg: Wir versuchen zunächst einen redaktionellen Blog zu etablieren, den wir später anderen usern, die sich oft in Kommentaren etc. zu Wort melden ebenfalls öffnen wollen. Aber sehr selektiv - auch um einen gewissen Charakter des Blogs zu erhalten.
Fazit: Es kommt immer darauf an, was man mit dem "Zeitungs"-Blog will. Um Reichweite zu generieren mag der Leser-Blog eine feine Sache sein, wenn er denn läuft. Uns ist die Community-Bildung wichtiger. Die user sollen täglich einen Grund haben, bei uns reinzuschauen, damit wir sie von Fall zu Fall zu unseren anderen redaktionellen Angeboten leiten können ...
19.09.06 13:16
Holger Haase
Gute Punkte, in diesen Kommentaren.
Das kommt in meinem Beitrag nicht klar heraus: Die Implementierung eines Leserblogs ist alles andere als eine zwingende Folge des Bemühens, die Leser stärker an sich zu binden.
Andere Methoden können da besser geeignet sein.
19.09.06 13:38
Matthias Kretschmer
Guter Herr Kretschmer,
auch wir haben seit mehr als zwei Jahren Leserblogs bei uns im Einsatz und ich denke, dass die nun schon über 25.000 Weblogs uns und der Idee dahinter Recht geben.
Unsere Zwischenbilanz ist keinesfalls ernüchternd. Ernüchternd, wenn ich das sagen darf, ist vielleicht nur das Ergebnis ihrer Recherche. Denn es gibt durchaus aus gut funktionierende und genutzte Weblogs.
mfg, Erich Schicker
21.09.06 12:33
Erich Schicker
Hallo Herr Schicker,
vielen Dank für Ihren Hinweis. Habe mir mit großem Interesse Ihre Site angeschaut.
Manche meiner Aussagen finde ich bei Ihnen bestätigt, anderes vorbildhaft anders gelöst als in den von mir genannten Beispielen.
Bei Ihren weit über 25.000 Weblogs würde ich bei einem ähnlich niedrigen Aktivitätsniveau wie beim TV oder Südkurier rund 5.000 aktive Blogs in den letzten zwei Wochen mit bedeutend mehr als 5.000 Beiträgen erwarten. Die tatsächliche Zahl liegt aber anscheinend(!) um ein vielfaches niedriger.
Die von Ihnen "Themen" genannten Beiträge liegen offenbar bei gut dreißig in den letzten zwei Wochen. Die scheinbar stärker zur Kommunikation wie in einem Forum genutzten "Beiträge" sind häufiger, aber auch nicht annähernd an der oben genannten Zahl dran.
Einer unserer Ex-Kanzler hat formuliert: "Wichtig ist, was hinten bei raus kommt." Zahlen registrierter Nutzer sind dabei aus redaktioneller Sicht ziemlich egal. Relevant ist, ob und wie diese Nutzer aktiv sind.
Sie merken, wie vorsichtig ich einige meiner Sätze formuliert habe. Die exakte Aktivität der Blogs ist bei Ihnen nicht vollständig ersichtlich. Können Sie mehr verraten?
Toll finde ich, wie Sie jedoch aus der Gruppe der aktiven Blogs die Sahneschicht nach oben befördern und den Lesern appetitlich servieren. Sie sortieren nach Themen, zeigen die aktivsten Blogs und bieten noch weitere Orientierungsmöglichkeiten.
Schön ist auch, wie Sie die Blogfunktionalität mit Bildergalerien und - so stellt es sich mir dar - einer Forenfunktionalität verbinden.
Ich vermute, dass Sie in diese Weblog-Site, wenn man wirklich alles einrechnet mehrere hunderttausend Euro gesteckt haben. Wie viele Leser haben Sie dadurch gebunden, wieviel Imagegewinn verbucht, wieviel mehr Abos und Anzeigen dadurch verkauft? Unmöglich zu beantworten, ich weiß, aber ich bleibe vorerst, nein, nicht ablehnend, sondern skeptisch.
mfg, Matthias Kretschmer
Ps: Gibt es Beiträge auf Ihrer Site oder einer anderen, auf der Sie Ihr Konzept oder die Historie der Site genauer erläutern? Ein Link dahin wäre klasse.
21.09.06 15:19
Matthias Kretschmer
Hallo Herr Kretschmer,
Ihr Beitrag zu den Weblogs von Regionalzeitungen ist ausgesprochen interessant. Einige Ihrer Anregungen werden wir für http://www.suedblog.de sicher aufgreifen.
Zum Anreizsystem noch ein Wort: In der gedruckten Ausgabe des SÜDKURIER gibt es jeweils am Montag eine eigene Seite "Briefe @ Blogs". Auf dieser Seite werden immer drei interessante Suedblogs vorgestellt. Und tatsächlich fragen manche Blogger bei uns an: "Wann komm ich denn wieder mal auf die Seite." Die Online-to-Print-Schiene ist also ein guter Weg, fleißige Blogger zu "belohnen". Außerdem erreichen uns immer wieder positive Kommentare auch älterer Leser zu der Seite. Ich kann andere nur ermuntern, User-Blogs anzubieten und spannende Beiträge auch im Printmedium aufzugreifen.
Schönen Gruß vom Bodensee
Olaf Kunz
10.10.06 19:29
Olaf Kunz
ein Beispiel für ein sehr gut funktionierendes Blog ist fudder.de aus Freiburg. Das ist ein Stadtportal mit junger Zielgruppe, das von der Badischen Zeitung (Badischer Verlag) betrieben wird --> www.fudder.de. Die Seite ist sehr lebendig, was sich an der Frequenz der Artikel und der Zahl der Kommentare zeigt. Das Team ist eine Mischung aus Redakteuren, Freien, Hobby-Autoren, die über ihre Leidenschaft bloggen und der Community, die Content beisteuert.
11.10.06 00:00
bobbele
Hallo Matthias Kretschmer!
Mich würde (als mittlerweile eher demotivierte TV-Bloggerin) interessieren, wie sie methodisch bei der Untersuchung der genannten Leserblogs vorgegangen sind! Können Sie ihr "Forschungsdesign" etwas näher erläutern?
18.04.07 22:14
Elisabeth Schneider
@ Elisabeth Schneider:
Das Prinzip ist ziemlich einfach, aber etwas aufwändig in der Durchführung.
Ich habe über einige Monate hinweg in regelmäßigen Abständen (max. 1 Monat) auf den betreffenden Sites geschaut, wie viele Blogs einen in den letzten zwei Wochen erschienenen Artikel aufweisen konnten.
Um den Aufwand zu reduzieren, habe ich i.d.R. nur ein Drittel bis die Hälfte aller Blogs begutachtet.
Zudem habe ich ebenso regelmäßig die Zahl der Autoren bzw. Blogs gezählt.
18.04.07 22:58
Matthias Kretschmer