Leserblogs & Co.: Je oller, je doller?

Vor einigen Wochen hatte ich mich skeptisch über den derzeitigen Stand und auch die Zukunftschancen von Leserblogs geäußert.

Dabei halte ich prinzipiell eine größere Nähe von Redaktion und Lesern für erstrebenswert.

Nur wie kann man das erreichen? Vielleicht liegt die Lösung nicht im Web 2.0, sondern im Web 1.0 und im Print 08/15.

Erste Hinweise kann ein Blick auf die Seiten der HNA liefern, die ich bei meiner Analyse der Leserblogs übersehen hatte (gefunden über Media Ocean).

Trotz sehr prominenter Darstellung auf der Homepage erscheinen die Leserblogs der HNA – man muss es so sagen – mausetot. Von den fünf neuesten auf der Homepage angeteaserten Beiträgen sind alle vom Online-Redakteur der HNA (Stand 18.10.06, 22.00 Uhr). Auch ein Blick in die Archive zeigt, dass nur äußerst wenige Leser Blogeinträge verfassen.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn an anderen Stellen zeigt die HNA auf, wie man mit einfacheren Mitteln Leser zur Interaktion animieren und die Beiträge darstellen kann.

So nutzt sie ihr Blog, um (alle?) Leserbriefe einzustellen. Jetzt kann man darüber streiten, ob ein Blog das richtige Format für eine solche Darstellung ist, aber immerhin wird ca. ein solcher Leserbrief pro Tag eingestellt. Das ist bedeutend mehr als aus den Blogs resultiert und qualitativ halte ich die Leserbriefe für hochwertiger als viele Blogeinträge.

Zudem bietet die HNA auf ihren „normalen“ Artikelseiten eine Kommentarfunktion an ähnlich der auf Blogs, die anscheinend gut angenommen wird.

Und auch die großen der deutschen Online-Nachrichtenzunft zeigen, wie man mit banalen Mitteln für Leser-Beiträge sorgen kann.

Spiegel Online nutzt – wie langweilig und Web 1.0 – sein Forum. Aber dafür richtig. Die Leser werden bereits auf der Homepage darauf hingewiesen, dass es zu einem Artikel eine Forumsdiskussion gibt. Auf der Artikelseite erscheint dann noch mal ein bedeutend prominenter platzierter Block, der mit Einstiegsfrage und Verweisen auf die letzten Beiträge die Leser zur Diskussion animiert. Anschließend gelangt der User direkt und ohne Umwege zur Diskussion.

SpOn Forumsblock 2006-10-19.jpg
Bild: Aufforderung zur Diskussion auf Artikelseite von Spiegel Online

Dem Leser wird der rote Teppich ausgerollt und dieser nutzt ihn gerne.

So kann eine Umsetzung dessen aussehen, was der CEO von Reuters, Tom Glocer, als „seeders of clouds“ beschreibt. Redakteure setzen Themen und machen Diskussionsvorschläge, um die sich „Diskussionswolken“ bilden.

Noch direkter beziehen Focus.de (Beispiel) und zeitweilig auch die Süddeutsche (Beispiel) Leserkommentare ein, die direkt unter den Artikeln angezeigt werden. Und diese Funktionalität scheint gut genutzt zu werden.

„Machen Blogs doch längst vor.“ werden einige anmerken. Stimmt, aber die Tatsache, dass die großen Nachrichtensites es nachmachen ist beachtenswert. Zudem ist bemerkenswert, dass die Leser dieses simple Feature annehmen, während sie Angeboten wie z.B. Leserblogs oder Social Bookmarking noch skeptisch gegenüber stehen.

Ein wesentlicher Aspekt ist meiner Meinung nach die unmittelbare Nähe von Artikel und Diskussion. Man bittet die Leser nicht auf einen fremden Planeten, um dort zu diskutieren.

Jetzt soll es für ein Fazit dieser kleinen Rundschau nebensächlich sein, ob die althergebrachten Foren und Leserbriefe per Email nicht auch Web 2.0-Funktionalität darstellen, da sie vom Nutzer generierte Inhalte bereit stellen.

Wesentlich ist die Erkenntnis, dass man mit einfachen und längst bekannten Methoden Erfolge erzielen kann, wenn Sie gut eingesetzt werden.

Und „einfach“ bezieht sich hierbei sowohl auf die Wahrnehmung der User als auch auf die technische Umsetzung. Die Kommentarfunktion zu nutzen oder einen Beitrag per Email einzusenden ist konzeptionell leichter zu verstehen und zumeist auch in der Anwendung für die User bedeutend einfacher als das Verwenden von Blogs, Vodcasting oder Social Bookmarking.

Kommentare

Auch espace.ch, die Online-Plattform der Berner Zeitung in der Schweiz kennt die Kommentarfunktion am Schluss der Artikel. Und man sieht an folgendem Beispiel gut, wie diese angenommen wird:
http://www.espace.ch/artikel_270795.html

19.10.06 15:30

Unser Programmierer wollte diese Kommentierungsfunktion schon im vorigen Jahr an unsere (Lokal)Meldungen basteln, aber ich hatte abgewunken, weil das Heise-Foren-Urteil eine Mitverantwortung des Anbieters im Falle von Rechtsverstößen anzeigte, wenn nicht jeder Beitrag vorab kontrolliert wurde. Inzwischen scheinen die Gerichte umzudenken - also tun auch wir es. Jetzt darf der Programmierer ran.

19.10.06 16:58

Hallo Herr Kretschmer, schön, dass Sie doch noch den Weg zur HNA gefunden haben ;-) Freut mich...

In der Tat haben wir noch nicht allzu viele Leser dafür gewinnen können, regelmäßig in unserem Blog (http://blog.hna.de) zu schreiben. Das liegt sicher zum einen daran, dass sich User heutzutage mit wenigen Mausklicks und auch ohne große technische Kenntnisse kostenlos ein eigenes Blog mit personalisierter Adresse einrichten können. Nachvollziehbar, dass sich da einige fragen, warum sie das auf unserer Plattform machen sollten. Bei einer einzigen Installation von WordPress, wie wir sie bei uns laufen haben, ist es auch nicht gerade einfach, eine Personalisierung einzurichten. Ich bin auf der Suche nach entsprechenden Plugins, um etwa Informationen über den jeweiligen Autoren neben dessen Artikeln einzubinden (Tipps sind willkommen…). Ich denke, dass hier ein größeres Community-Konzept bessere Erfolge verspricht – damit beschäftigen wir uns derzeit.

Was meine Beiträge im Blog anbetrifft, so bestehen diese derzeit überwiegend aus kurzen Notizen zu Fundstücken im Netz und nicht aus im eigentlichen Sinne „redaktionellen“ Artikeln. Von daher ist das Blog bzw. meine Einträge darin sicher als „weiches“, buntes Nachrichtenangebot zu verstehen, das die Kerninhalte unserer eigentlichen Homepage ergänzt. Jedenfalls ist das jetzt noch der Fall, das soll sich allerdings auch noch ändern. Mehr Zeit müsste man haben… Wir haben übrigens letzte Woche zusätzlich ein Podcast-Angebot gestartet. Hier gilt Ähnliches wie zum Start unseres Blogs: Auch für uns ist das ein Sprung ins kalte Wasser ;-) Aber dabei sein ist in diesem Fall erst einmal alles, wir sehen es als notwendig an, uns mit diesen Themen zu beschäftigen und sie auch anzubieten und weiterzuentwickeln. Wenn ich zurückdenke, wie unser Blog zum Start im Februar 2005 aussah und wie es sich (auch bzgl. der Besucherzahlen) entwickelt hat, so sind wir hier auf einem guten Weg.

Zu den Leserbriefen: Hier ist ein Blog meiner Ansicht nach durchaus eine geeignete Plattform. Durch die Kalenderstruktur wird schnell deutlich, welche Themen zu welcher Zeit die Menschen in unserer Region bewegten – zudem sorgen die jeweiligen Beiträge mit den bekannten Blogfeatures wie Kommentaren oder Trackbacks für Interaktivität. Über unser CMS ist das nur eingeschränkt möglich. Hier ist es natürlich wichtig, möglichst zeitnah die Leserbriefe einzustellen. Übrigens handelt es sich noch nicht um alle Leserbriefe, aber wir sind dabei, dies auszubauen. Momentan werden ca. 90 Prozent der Leserbriefe an unsere größte Lokalredaktion (Kassel) online veröffentlicht, in Kürze sollen auch die Briefe an die Mantelredaktionen hinzukommen.

Technisch ist das Einstellen der Leserbriefe über einen Cronjob und WordPress-Features (wir benutzen dazu das Plugin Postie) problemlos und ohne großen Aufwand möglich. Jedoch verifizieren wir natürlich auch alle veröffentlichten Briefe, was redaktionellen Mehraufwand bedeutet. In jedem Fall ist es ein erfolgreiches Angebot, weil die Platzfrage, die die Printausgabe betrifft, im Netz entfällt und Leser sich auch ernst und wahrgenommen fühlen, obwohl ihr Brief möglicherweise nicht in Print veröffentlicht wird.

By the way: Wer oder was ist eigentlich alles Print 08/15?

20.10.06 13:44

"Print 08/15" ist nichts weiter als eine sprachliche Eigenkreation, die für längst etablierte, im Gegensatz zu Web 2.0 langweilige Methoden im Print-Bereich stehen soll. Wie z.B. eben für die Nullachtfuffzehn-Methode "Leserbriefe".

Noch ein Kommentar dazu, warum ich Blogs nicht für optimal zur Einstellung von Leserbriefen halte: es gibt keinen oder nur einen indirekten Bezug zu den Artikeln, auf die diese sich beziehen. Schöner wäre es, wenn die Leserbriefe direkt über die Artikel aufrufbar wären, oder man direkt von einem Leserbrief zum Artikel und inhaltlich verwandten Leserbriefen gelangen würde.

Das ist es ja gerade, was mir an Ihrer Kommentarfunktion gefällt: der direkte, visuell wahrnehmbare Zusammenhang von Artikel und Kommentaren.

20.10.06 15:16

Was den direkten Bezug anbetrifft - da haben Sie Recht. Das ist derzeit für uns leider nur schwer zu verwirklichen, da bisher die Artikel lediglich zwei Wochen lang online verfügbar sind und wir noch kein offenes Archiv haben. Was bedeutet, dass die Verlinkungen aus dem Blog heraus in Kürze ins Leere laufen würden. Und zu jedem Leserbrief im Blog den Artikel zu ergänzen, ist nicht leistbar...

Ganz optimal ist das also sicher nicht, aber über das Blog ist es eben immerhin möglich, ohne großen manuellen Aufwand viele Leserbriefe zu veröffentlichen - und noch dazu ein ungefähres Themen-"Zeitfenster" zu haben. Zudem sind viele angesprochene Leser ja bereits im Thema, da sie auch über die Printausgabe auf die Briefe im Netz geleitet werden.

Nun ja, eins ist sicher: Es bleibt noch viel zu tun... ;-) Und das ist auch gut so.

20.10.06 15:44

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