Site-Check: Wie frisch sind deutsche Nachrichtensites?
Eine Website müsse schwingen, behauptete der Spiegel Online-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron vor einigen Jahren.
Aber was heißt das eigentlich?
Ein Aspekt ist mit Sicherheit die Anzahl neuer, frischer Artikel für den Leser, die sich ihm auf der Homepage, insbesondere in deren oberen Bereich bieten.
Je frischer die Site ist, desto häufiger lohnt es sich für den Leser, die Site erneut zu besuchen.
Anlass genug für mich, in einer Kurzanalyse die „Frische“ sowohl relativ erfolgreicher Nachrichtensites als auch der Sites von bislang noch nicht so erfolgreichen Verlagen zu untersuchen.
Die Ergebnisse stützen die These, dass frische Sites erfolgreicher sind.
Der typische Nutzungsverlauf einer Nachrichtensite im Tagesablauf weist einen starken Anstieg des Traffics bis ca. 9 Uhr auf, bleibt dann auf relativ hohem Niveau und steigt dann leicht in der Mittagspause auf den Tageshöchstwert an. Danach fällt der Traffic kontinuierlich ab. Oft ist ein richtiger Knick gegen 17:00 Uhr erkennbar, wenn ab diesem Zeitpunkt noch mehr User die Büros verlassen.
Vereinfacht dargestellt kann man sagen, dass die User morgens die aktuelle Lage sichten, mittags ein Update suchen und etwas länger surfen und zu Feierabend noch die letzten News wissen möchten.
Aus diesem Grund habe ich an insgesamt drei Tagen im August und September 2006 jeweils um 09:00 Uhr, 12:00 Uhr und 17:00 die Top-Artikel auf insgesamt neun Sites wie Tagesspiegel.de, Spiegel Online, Schwarzwälder Bote und anderen erfasst und überprüft, ob diese am vorherigen Zeitpunkt bereits als Top-Artikel auf der Site vorhanden waren.
Als „Top-Artikel“ galten in der Regel die ersten fünf Artikel die zumeist mit einem Foto oder aber mit einem längeren Texteinstieg versehen waren. Für den 09:00 Uhr-Termin war die Site um 17:00 Uhr am Vortag die Referenz.
Die Grafik stellt dar, wie viele der Top-Artikel im Schnitt neu waren.
Die Ergebnisse zeigen eindeutige Unterschiede zwischen den relativ erfolgreichen* Sites Tagesspiegel.de, Spiegel Online, Welt.de und ftd.de und den analysierten Sites regionaler Verlage auf.
Während morgens fast alle Sites sehr frisch waren, sank der Wert in der Mittagszeit stark ab. Immerhin drei Viertel des Content auf den „großen“ Sites war frisch, während die Sites der Regionalzeitungen noch rund die Hälfte der Inhalte vom Morgen anboten.
Zum Nachmittagstermin stiegen die Werte dann an, so dass auf den großen Sites fast sämtliche Top-Artikel frisch waren, auf den kleineren immerhin rund 70%.
Die Schwankungen der Werte mögen sich zu einem Teil daraus ergeben, dass zwischen den einzelnen Messwerten unterschiedlich lange Zeiträume lagen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr kann passieren und desto mehr Gelegenheit hat die Redaktion, die Site zu überarbeiten.
Dennoch ist es überraschend, dass ausgerechnet zur mittäglichen Spitzenzeit so wenige frische Inhalte geboten werden.
So bot der Tagesspiegel an jedem gemessenen Tag morgens um 09:00 Uhr und um 17:00 Uhr eine völlig frische Site an, mittags sank der Wert aber auf den sehr niedrigen Wert von rund 50%.
Bei Spiegel Online hingegen schwingt die Site tatsächlich stark: Bei fast allen Messungen waren die Top-Artikel zu 100% frisch.
Mich würde es nicht überraschen, wenn dieses mittägliche Absacken der Werte das Ergebnis der auf das Printprodukt ausgerichteten Prozesse ist, die mit ihrem vormittäglichen Konferenzwesen Personalkapazitäten binden.
Es muss angemerkt werden, dass „frisch“ nicht unbedingt „neu“ bedeutet. Insbesondere Spiegel Online verschiebt Artikel im Tagesablauf gerne auf der Site, so dass mittags Top-Artikel oben auf der Site stehen können, die morgens weiter unten zu finden gewesen sind.
Dennoch steigert dieses Verfahren die wahrgenommene Frische einer Site und macht sie attraktiver.
* "Relativ erfolgreich" gemessen am Verhältnis der Unique User (pro Monat) zur verkauften Auflage der jeweiligen Zeitung. Die Detailergebnisse gibt es hier.
08.10.06
Kommentare
Mich würde es überraschen, wenn das mittägliche Absacken der Werte auf den Print-Produktionsprozeß zurückzuführen ist. Von den großen Regionalzeitungen Schleswig-Holsteins weiß ich, daß dieses Argument nicht zutrifft, weil die onliner a) nicht am Print-Produktionsprozeß beteiligt sind oder b) die Konferenzen später (13 Uhr bzw. 15 Uhr) stattfinden.
Meine Erklärung für die Regionalzeitungen: Morgens gibt es "frische" Nachrichten aus der eigenen Zeitung, aber auch per mail bzw. die Nachtereignisse aus den Polizeiberichten. Das wird aktuell reingehoben.
Dann haben wir eine Zeitlang ein Quellenproblem: Die Printredaktion arbeitet noch nicht, die Presseabteilungen sortieren sich noch, die Pressewarte der Vereine schicken ihre Meldungen in der Regel nicht aus dem Büro. Im Prinzip stehen für Lokales/Regionales nur die in diesem Bereich schwachen Agenturen zur Verfügung.
Übrigens: Unsere Peaks liegen im Monat September anders: Höchste Zugriffe zwischen 22 und 0:00 Uhr (dann stellen wir die Lokalmeldungen des nächsten Tages raus), kontinuierlicher Anstieg von 0-8 Uhr, dann verharren auf dem Niveau bis 12 Uhr, dann nochmaliger Anstieg bis 14 Uhr, Abfall bis 21 Uhr und dann besagtes Hochschnellen um 22 Uhr.
09.10.06 10:44
Holger
So, erstmal "Sorry" für das späte Veröffentlichen des ersten Kommentars. War heute auf der ifraExpo und somit länger nicht online.
Hm, ich kenne vor allem Redaktionskonferenzen am Vormittag und wenn dann einer der Online-Redakteure daran teilnimmt geraten die oft dünn besetzten Online-Redaktionen gerne mal an ihre Leistungsgrenze.
Das im obigen Kommentar beschriebene Traffic-Muster halte ich für sehr interessant und leicht ungewöhnlich.
Wobei die Tatsache, dass die höchsten Zugriffe des Tages spät am Abend bei der Veröffentlichung eines ganzen Stoßes neuer Artikel natürlich ein weiterer schöner Beweis für die Anziehungskraft neuer Inhalte ist.
09.10.06 21:08
Matthias Kretschmer